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Essen in Russland: Hmmmm, lecker Elchmilch!

23.03.2016

Russland hat einige der coolsten Lokale der Welt. Besuch in einem Café, in dem nach Minuten bezahlt wird, einer Kneipe nur für Dicke und einem Restaurant, das Elchmilch als Dessert serviert.

 

Um zwei Uhr morgens, ehe Starkoch Wladimir Muchin nach Hause geht, macht er noch eine letzte Runde durch den Weißen Hasen, sein international gefeiertes Restaurant hoch über den Dächern von Moskau. Er verabschiedet sich von seinen Stammgästen. Muchin fragt, wie das Brot geschmeckt hat, das er aus einem ganz besonderen Mehl zubereiten hat lassen: aus der feinen Haut, die zwischen Birkenrinde und Baumstamm liegt. Oder ein Dessert, das er aus karamellisierter Elchmilch gewonnen hat. "Die Idee kam mir bei einem Ausflug an die Wolga, auf einer Farm, die Elche züchtet", erzählt er. "Bei mir stammen alle Zutaten aus Russland." Muchin ist viel unterwegs, um "den Reichtum unserer regionalen Küche in die Hauptstadt zu bringen".

 

Seine innovativen Gerichte haben dem gerade einmal 33-Jährigen und seinem White Rabbit im vergangenen Sommer Platz 23 im Ranking der weltweit 50 besten Restaurants beschert.

 

Jeden Donnerstag, lädt er zur Alice-im-Wunderland-Food-Show, mit zwölf Gängen, gestaltet nach den Kapiteln des populären Märchenbuchs. Vor den Augen der Gästen kreiert Muchin, der Zauberer und Verzauberer, hauchdünne Nudelfäden aus Weißwein. Zu jedem Gang gibt es eine Mini-Speisekarte mit einem Alice-Mini-Cartoon. Die Plätze sind bis Juli ausgebucht.

 

Muchin stammt aus dem russischen Nordkaukasus. Die Küche dort, mit Granatäpfelkernen, viel Walnuss und Bergkräutern, ist so schmackhaft, dass sie früher als französische Küche der Sowjetunion gepriesen wurde. Heute sieht die ehrwürdige "Washington Post" die Cuisine des Kaukasuslandes Georgien als nächsten "heißen Trend auch im Westen".

 

Expansion ohne Kalaschnikows

 

Muchin, Koch in der fünften Generation, wurde mit 21 als jüngster Chefkoch in die russische Kochgilde aufgenommen, er hat monatelang bei Starköchen in der Provence und in Spanien hospitiert und für das dortige Feinschmeckerpublikum russische Gerichte kreiert.

 

Er ist ein Paradebeispiel für den Aufstieg einer jungen, dynamischen Elite in Moskau, die der Welt etwas anderes bieten will als Kalaschnikows. Er und andere bekannte Meisterköche der Hauptstadt, wie der experimentelle Anatoli Komm mit seinem Restaurant Barbaren, verdanken ihre Karriere ihrem eigenen Können und dem halbkriminellen Zugriff auf Russlands gewaltige Öl- und Gasvorkommen oder Vätern, die in Schlüsselpositionen wichtiger Ministerien sitzen.

 

Muchin träumt davon, in der kulinarisch verwöhnten Provence ein Restaurant mit russischer Küche aufzumachen. "Ich möchte das Banner der Novelle Cuisine Russe in die ganze Welt tragen", sagt er.

 

Kuhmist im Luxusrestaurant

 

Moskau kann neben New York und London mit der vielfältigsten Restaurantszene weltweit aufwarten. Das ist auch ein Erbe der Sowjetunion und ihres Völkergemischs: Der Plow, ein Reisgericht mit Lamm, Quitten und Rosinen, kam aus Usbekistan, Saziwi, Hühnchen in Walnusssauce, aus Georgien und die gefüllten Teigtaschen Wareniki, die der Schriftsteller Nikolai Gogol (1809-1852) von Zauberhand seinen Romanfiguren in den Mund fliegen ließ, aus der Ukraine.

 

Die Moskauer Restaurants waren immer ein Spiegel des Zeitgeistes. In den Neunzigerjahren warfen sie ein Schlaglicht auf die brutalen sozialen Unterschiede und eine in Europa einzigartige Dekadenz. Weil es praktisch keinen Mittelstand gab, orientierten sie sich vor allem an den Superreichen, die nach immer neuen, extravaganten Inszenierung verlangten.

 

Alain Deloss, ein aus Frankreich nach Moskau zurückgekehrter Restaurateur, imitierte in seinem Schinok unweit des Regierungssitzes eine Dorfidylle. Ein dralles Bauernmädchen molk eine Kuh, Schweine und Gänse liefen umher. Das reiche Publikum delektierte sich am einfachen Leben, das es schon lange verachtete. Und damit der Geruch von Kuhmist die Nasen der feinen Damen nicht beleidigt und das Gegacker der Hühner die Geschäftsleute nicht bei ihren Gesprächen stört, steckt Deloss sein Minidorf bis heute unter eine Glasglocke. Passend zum Wirtschaftsboom der frühen Putin-Jahre hat Deloss 2006 das Turandot eröffnet, das Restaurant mit dem teuersten Interieur der Welt.

 

Zahlen nach Minuten

 

Als Speerspitze einer Gegenbewegung entstand 2011 in Moskau das erste "Anti-Café" der Welt, das Zifferblatt. Sein Gründer, Iwan Mitin, hat außer in Russland Filialen in England, der Ukraine und Slowenien eröffnet. Den Namen wählte er damals aus, weil nach Minuten abgerechnet wird, nicht nach den konsumierten Gerichten. Es war die Zeit des politischen Tauwetter, als der liberalere Putin-Statthalter Dmitrij Medwedew, damals Präsident, Unternehmergeist förderte und mit größeren Freiheitsrechten experimentierte.

 

Mitin, ein zierlicher Mann mit einem Bart wie Russlands letzter Zar Nikolaus der Zweite, verteilte in der Metro kostenlos in Plastik eingeschweißte Gedichte russischer Klassiker von Alexander Puschkin (1799-1837) bis Maria Zwetajewa (1892-1941). "Mir ging auf die Nerven, dass in der Metro nur noch Schrott gelesen wurde, primitive Krimis und Liebesgeschichten", sagt Mitin. "Da wollte ich etwas tun." Mitin, der Vordenker alternativer Kneipenkonzepte, ist Liebhaber der russischen Klassik und kämpft dafür, dass "die Hochkultur Teil der Massenkultur wird".

 

Nach dem Vorbild des Zifferblatt gibt es inzwischen Cafés, in denen die Besucher Dutzende zwischen den Tischen herumstreunende Katzen streicheln oder eine Kneipe für Dicke, in denen sie garantiert kalorienreiches Essen bekommen.

 

In Mitins Zifferblatt im vierten Stock eines Wohnhaus in Moskaus Prachtstraße Twerskaja kostet eine Minute in der ersten Stunde drei, danach zwei Rubel. Das sind umgerechnet 0,04 oder 0,03 Cent. Gebäck und Tee gibt es kostenlos, die Gäste dürfen sich Essen und Getränke mitbringen.

 

In den ersten Jahren war das Café eine Art zweites Wohnzimmer für Schüler und Studenten. Inzwischen sind junge Geschäftsleute dazugekommen, die es als kreativen Versammlungsort nutzen. Das passt zur Krise, die durch den Ölpreisverfall, westliche Finanzsanktionen und eine mäßige Wirtschaftspolitik verursacht wurde. "Das Zifferblatt ist kostengünstig", sagt ein junger Designer, "und außerdem habe ich hier bessere Ideen."

 

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